Kunststoff Textbeiträge

Der Bart muss ab!

Rasur und Kunststoffe

Dieser kleine Streifzug durch die Kultur der Entfernung männlicher Haarpracht im Gesicht wurde zuerst auf den Kunststofftagen 2007 in Düsseldorf gezeigt.

Rasiermesser mit Griffschalen aus Celluloid, Deutschland um 1930
Rasiermesser mit Griffschalen aus Celluloid, Deutschland um 1930

Kunststoffe im Bereich der Rasur – wie so häufig in der Anfangsphase der Polymere – dienten zunächst als Ersatz für teurere oder rare Naturstoffe: Celluloid ahmte Horn, Schildpatt oder Ebenholz nach. Aber diese Nachahmung wurde schnell von den Formmöglichkeiten des Materials übertroffen: ein Klappspiegel mit ahmt farblich noch Schildpatt nach, aber eine Form wie das aus einer Celluloidplatte gezogene Unterteil mit integrierter Seifenschale würde der Naturstoff nie erlauben. Auch für die Reise waren Rasierutensilien aus Kunststoff praktisch: leicht und bruchsicher konnten sie Platz sparend in einem Lederetui verstaut werden. 

"Philishave Staalbaard", Phenoplast und Stahl, Deutschland 1946

Die Erfindung des Phenolformaldehyds (Bakelit) ermöglichte dann auch eine technische Revolution im Bereich der Rasur. Die ersten Elektrorasierer, die etwa seit den 40er Jahren von verschiedenen Herstellern entwickelt wurden, haben fast alle noch mehr oder weniger stabförmige Gehäuse. Auch der erste „Philishave“ von 1941, sein Nachfolger von 1946 mit dem schönen Beinamen „Staalbaard“ und der erste Trockenrasierer der deutschen Braun AG von 1950  folgen dieser Tendenz.

Rasierer
Rasierer "Philishave", Polyamid und Stahl, Niederlande 1948

Den Durchbruch für den „Philishave“ auf dem amerikanischen Markt bedeutete das 1948 von Raymond Loewy, dem führenden Industriedesigner in den USA, entworfene Modell. Das Gehäuse aus elfenbeinfarbenem Polyamid und die gerundete Form waren Anlass für den Spitznamen „The Egg“. Der zunächst nur mit einem Scherkopf ausgestattete Rasierer wurde ab 1951 mit einem Doppelscherkopf versehen.

Rasierer mit Handhebel
Rasierer mit Handhebel "Viceroy", Phenoplast und Stahl, Großbritannien 1936

Eine besondere Gattung bei den Trockenrasierern waren Modelle, die ohne Stromkabel auskommen sollten: mechanische Lösungen wie der „Viceroy“ aus Großbritannien mit Handhebel, komfortabler ein Modell aus der Schweiz  mit Aufziehmotor oder die ersten Modelle mit noch sehr primitiven Akkus, die AEG auf den Markt brachte.

"Remington Rollectric", schlagfestes Polystyrol und Stahl, Großbritannien 1957

Wird das Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg noch stark von den gerundeten Formen des Stromliniendesigns geprägt, zeigt sich mit Beginn der 60er Jahre eine starke Tendenz zur Nüchternheit.

"Remington Selectric", schlagfestes Polystyrol, PVC und Stahl, Bundesrepublik Deutschland um 1960

In Deutschland beginnt der typische Nachkriegsfunktionalismus in der Nachfolge des Bauhauses zu dominieren, aber auch die Modelle des amerikanischen Herstellers Remington werden extrem kantig, der Ergonomie der Hand wird nur durch eine kleine Abpolsterung mit PVC-Folie Rechnung getragen. Diese Vorliebe für Kuben hat ihre Parallele durchaus in der zeitgenössischen Architektur, die ebenfalls durch strenge Kanten und Kuben dominiert wird und sich auch nicht unbedingt als menschengerecht darstellt.

"Philishave", schlagfestes Polystyrol und Stahl, Bundesrepublik Deutschland um 1970

Dieser Tendenz zur Verhärtung kann sich auch das „Egg“ von Loewy nicht entziehen: Die Konturen der Phililshave-Modelle dieser Zeit werden eckiger, so dass die Assoziation zum Vorbild aus der Natur verloren geht.

"Braun 300 Deluxe", schlagfestes Polystyrol und Stahl, Bundesrepublik Deutschland 1955

Die konsequenteste Linie im Design verfolgte wohl der Hersteller Braun in Deutschland. Man erkannte früh, dass ein ansprechendes zweckmäßiges Äußeres ein wichtiges Hilfsmittel beim Verkauf und für die Markenidentität war und arbeitete mit führenden deutschen Produktdesignern zusammen. Neben den legendären Geräten im Phonobereich traf das auch für die Rasierer zu. Das noch recht bieder gestaltete Modell „300 Deluxe“ von 1955  wurde von Gerd A. Müller 1957 überarbeitet.

"Braun Combi DL 5", schlagfestes Polystyrol und Stahl, Bundesrepublik Deutschland 1957

Die engeren Rippen, der komplett aus Metall gefertigte Scherkopf und das dezentere Firmenlogo weisen die Richtung für die funktionale Nüchternheit der 60er Jahre. Diese Formfindung wurde wegweisend für die nachfolgenden Modelle von Braun, aber auch für die Rasierer anderer Hersteller, die sich formal mehr oder weniger eng an das Erfolgsmodell anlehnen.

"Braun Sixtant 6006", Acrylnitril-Butadien-Styrol (ABS), Bundesrepublik Deutschland 1970

Die Neuheit der durch Werkstoffe wie Harnstoff-Formaldehyd, Polyamid oder Polystyrol möglichen Pastellfarben hatte sich zu Beginn der 60er Jahre abgenutzt, fast alle Hersteller boten Modelle mit schwarzen Kunststoffgehäusen an, die einen aparten Kontrast zu den Chromteilen bildeten. Das „männliche“ schwarz in Kombination mit der mehr oder weniger schlichten Kastenform der Sixtant-Modelle von Braun (1962 und 1970) und der Rasierer anderer Hersteller  hielt sich bis ins letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Andere Formfindungen bleiben eher die Ausnahme.

"Braun Activator", PC-ABS-Blend, SEBS, Polyoxymethylen (POM), Bundesrepublik Deutschland 2003

Mit Beginn des neuen Jahrtausends scheint die Vorherrschaft dieses formentechnischen und farblichen Minimalismus gebrochen. Der Trockenrasierer „Activator“ von Braun besticht durch eine handfreundliche Form. 

„Form follows Function!“ Das Diktum des amerikanischen Designers Frank Lloyd Wright steht als Motto über dem Industriedesign des gesamten 20. Jahrhunderts. Der kleine Streifzug durch die Geschichte des Elektrorasierers macht deutlich, dass selbst ein so alltäglicher Gegenstand wie ein Elektrorasierer durch seine Gestaltung Botschaften transportiert, die über seine reine Funktion weit hinausgehen. Die Modelle der drei großen Hersteller Philips, Braun und Remington zeugen einerseits von einem frühen Willen zum Corporate Design, andererseits manifestieren sich aber auch allgemeine Tendenzen im Design, die man durchaus als Moden bezeichnen kann – gut zu sehen bei der Verhärtung der Linien zu Beginn der 60er Jahre -, denen sich offensichtlich kein Gestalter gänzlich entziehen konnte. Dabei wurden auch nicht immer die optimalen Formen für den menschlichen Anwender und auch für den Werkstoff gefunden, aber Kunststoff zeigt sich hier als überaus anpassungsfähig.

© Uta Scholten      2007